742236_web_R_K_B_by_Tim Reckmann_pixelio.deSeit Mai haben wir nun 17 syrische Flüchtlinge hier im Ort. Schnell war mir klar, dass ich gerne helfen würde. Als sie dann an einem Feiertag kein Essen hatten, fand sich über einen engagierten Helfer aus dem Ort der erste Kontakt. Ich fragte, was ich tun könne? Deutschunterricht wäre besonders wichtig, hieß es sofort. Okay, als Logopädin nicht ganz weit weg vom Unterrichten, traute ich mir das zu. Zwei Stunden in der Woche … machbar. Jetzt stand ich vor dem ersten Mal!

Was anziehen …? Wie werden sie mich als Frau akzeptieren, darf ich mich duzen lassen ? Besonders das Angebot des „Du“ wurde von anderen „ Lehrerinnen“ als gefährlich eingestuft.

Es war unspektakulär. Ich traf auf Männer im Alter von 19 -48 Jahren, die mir sehr freundlich und offen begegnet sind. So mancher Deutsche kann sich von diesen Gentlemen eine Scheibe abschneiden. Keine seltsamen Blicke, keine Anzüglichkeiten, aber Aufmerksamkeit, Respekt und Dankbarkeit.

Diese Männer leben seitdem auf engem Raum zusammen, haben sich teilweise auf der Flucht kennengelernt, sind zum Teil verwandt, aber sind zumeist doch Fremde. Sie meistern dieses Leben gut. Vor mir haben sie sich nie miteinander gestritten oder haben sich abfällig über einen anderen geäußert. Auch wenn sie sich necken, ist es immer oberhalb der Gürtellinie.

Sie lieben es zu fotografieren und diese Fotos nach Hause zu schicken. Ihr Handy ist ihr höchstes Gut, der einzige Kontakt zur Familie. Kaum Skype –Verbindung, fast kein Telefonnetz, Facebook und Whats -App als einzige Möglichkeit, um mit der Heimat in Verbindung zu bleiben.

Deutschland ist das Paradies! Sie werden hier so freundlich aufgenommen, werden versorgt, sie staunen über die vielen Helfer, bekochen uns und zeigen uns durch kleine Dinge ihre Dankbarkeit. So viel Tee habe ich noch nie getrunken!!

Da macht es Spaß, sie einfach mal an den Lambsheimer Weiher mitzunehmen. Ein Schwimmkurs inklusive, denn das ein erwachsener Mann nicht schwimmen kann geht ja gar nicht! Sie haben auch keine Kontaktängste, gehen gleich auf die Angler am Weiher zu und begrüßen sie mit „ Ich heisse Kawa, ich bin 19 Jahre alt und wohne in Weisenheim am Berg!“. Danach geht es mit Händen und Füßen weiter.

Im Unterricht sind sie anfangs hochmotiviert. Englisch erleichtert uns allen den Anfang. Die, die nur die arabische Sprache und ihre Buchstaben kennen, tun sich sehr schwer.

Je länger sie hier sind, um so mehr lähmt einen Teil von ihnen die Angst um ihre Familie. Viele von ihnen haben alte, kranke Eltern zurückgelassen. Die Eltern, die ihnen die Flucht ermöglicht haben, indem sie alles Geld mobilisiert haben, um sie in Sicherheit zu bringen. Die ersten 4 haben ihre Anerkennung seit August in der Tasche, Glück gehabt, denn seitdem ist unser Beamtenapparat völlig gelähmt und überfordert. Die anderen Jungs warten alle noch. Warum hat es bei Allaa nur 3 Wochen gedauert? Ich warte schon mehr als 11 Wochen seit dem Interview! Es hilft nicht viel ihnen zu erklären, mit welchen Massen wir gerade versuchen fertig zu werden. Sie trauen keinem Regime, wissen nicht, dass sie nur geduldig sein müssen und sicher ihre Anerkennung erhalten werden, glauben uns nicht. Außerdem leben ihre Familien ja in der Zwischenzeit weiter in Gefahr und sie hoffen sehnsüchtig sie bald nachholen zu können, sind verzweifelt, dass sie nur die Ehefrau aber nicht den Bruder retten können.

Könnte ich in so einer Situation noch lernen? Wir können uns viel zu wenig mit ihnen unterhalten, um wirklich zu ermessen, was sie durchgemacht haben… im Moment durchmachen. Wir sind oft ungeduldig mit ihnen…..wir wissen was man hier in Deutschland braucht um vorwärts zu kommen. Langsam begreifen sie, dass die Deutschen es sehr ernst meinen mit der Pünktlichkeit, dass das Paradies doch nur zum Teil paradiesisch ist. Sie beginnen zu begreifen, was wir monatlich für unsere Sicherheit (Krankenversicherung, Arbeitslosenversicherung….) bezahlen, sind erschrocken darüber, dass zu den Mietkosten noch horrende Nebenkosten kommen und dass ihre gelernten Berufe hier nur wenig wert sind. Ich möchte in ihrer Haut nicht stecken.

Ich habe viel gelernt seit Mai, mir viele Gedanken über unser privilegiertes Leben gemacht und wirklich sympathische Menschen kennengelernt. Seitdem sind noch einige dazugekommen, bald werden die ersten wegziehen. Fast bin ich ein bisschen traurig. Ich kann nur jedem empfehlen sich mit ein wenig Zeit einzusetzen. Es lohnt sich und wir werden diese ehrenamtlichen Helfer brauchen, um diese Aufgabe zu meistern.

Tanja Mahn-Bertha (Weisenheim am Berg)

Foto: Tim Reckmann/pixelio.de